Love Brands Ade? Die Prozesse einer digitalen Transformation

Daniel Höly

·

·

Neulich bekam ich eine Ausgabe von Gabor Steingarts Newsletter „Das Morning Briefing“ zugeschickt (Danke, Frank!). Darin schreiben Steingart und seine Redaktion unter anderem über den Wandel von Marken(beliebtheit) und unserem Medienkonsum. Das Metathema dabei ist jedoch eine tiefgreifende Transformation, die in Zeiten von Corona nur umso schneller und stärker deutlich wird, wie auch Steingart treffend anmerkt:

Vordergründig bestimmt die Coronakrise das Geschehen. Im Hintergrund aber laufen die Prozesse einer globalen Transformation.

Und genau damit beschäftigen wir uns bei creedoo. In Bezug auf Marken schreibt Steingart:

Die großen, haptischen Marken des 20. Jahrhunderts – Coca Cola, Pepsi, McDonalds, Reebok, Wrigley’s Spearmint, Mercedes, Marriott, Hilton, Sony und Levis spielen heute als sogenannte Love Brands keine Rolle mehr. Laut der Brand Intimacy Study einer amerikanischen Werbeagentur, für die 6200 Konsumenten vor allem in den USA, befragt wurden, sind es schwerpunktmäßig digitale Marken, denen heute eine intime Beziehung mit dem Konsumenten gelingt.

Was ihm dabei nicht gelingt: Eine schlüssige Erklärung dafür herzuleiten. Meine These lautet:

Zum einen hat das Internet an Bedeutung gewonnen – und die Love Brands des 20. Jahrhunderts es versäumt, ihre Marken entsprechend in diesem Internet zu etablieren. Ihre WandlungsUNfähigkeit hat also dazu geführt, dass sie heute keine Love Brands mehr sind. Dennoch würde ich fairerweise nicht sagen, dass sie allein schuld daran sind, wenn eine digitale Plattform wie Airbnb die Hotelketten Marriott und Hilton an Wert überholt hat, obwohl sie kein einziges Hotel besitzt. Aber es zeigt auf, wie wichtig die Bereitschaft ist, das eigene Geschäftsmodell zu disruptieren, wenn möglich und nötig.

Zum anderen hat auch die Nachhaltigkeit stark an Bedeutung gewonnen – und die Love Brands des 20. Jahrhunderts es versäumt, diese Werte zu verinnerlichen. Green Washing ist Augenwischerei und kann Brands wie McDonald’s oder Coca-Cola nicht davor retten, dass sie diesen Werte- und Bewusstseinswandel der Konsumenten zu spüren bekommen. Bio, Öko, Grün, Fair, Umwelt – das lässt sich einfach nicht mit den beiden genannten Marken in Einklang bringen, und wenn sie sich noch so sehr bemühen.

Was Mercedes anbelangt, hat das Konzern sowohl in puncto Digitalisierung als auch in puncto Nachhaltigkeit komplett verschlafen – und konnte nur dadurch vom einst verlachten Mittbewerber Tesla an Marktwert überholt werden. Stillstand ist eben Rückschritt.

Unterm Strich heißt das in Bezug auf Love Brands: Wem es gelingt, ein gesundes Wertefundament digital zeitgemäß und werbetechnisch authentisch zu übersetzen, der kann auch heute noch eine Love Brand sein. Heißt für mich: Das Wie folgt dem Was folgt dem Warum. Zu Deutsch: Wenn ich weiß, wofür ich stehe und was ich will, kann ich auch glaubwürdig und wirkungsvoll kommunizieren.

Dass Technologie-Unternehmen aufgrund ihres völlig anderen Mindsets heutzutage große Vorteile haben, liegt zunächst auf der Hand. Aber auch sie müssen stets wandlungsfähig bleiben, wie uns die einstigen Suchmaschinengiganten Altavista, Fireball und Lycos ebenso wie die einstigen Netzwerkgiganten Friendster, MySpace und Orkut gezeigt haben. Selbst ein Konzern wie Facebook hätte ohne seine zugekauften Plattformen Instagram und WhatsApp durchaus (größere) Probleme. Aber das ist ein anderes Thema.

Zu guter Letzt noch ein wichtiger Gedanke am Rande: Neulich hörte ich in einem OMR-Podcast (ich meine, Sven Schmidt sagte das in der Spezial-Folge zu Corona), dass nicht Corona die Krise in den Innenstädten herbeigeführt hat, sondern den ohnehin schon eingetretenen und bevorstehenden Zerfall von zehn Jahren auf ein Jahr verkürzt hat. Bei aller Verkürzung trifft das den Nagel auf den Kopf. Und auch Steingart greift diesen Gedanken in seinem Newsletter auf:

Ihre (die von Angela Merkel und Olaf Scholz, Anm.) Geldinjektionen können eine Schwächephase der deutschen Volkswirtschaft bekämpfen, aber nicht den historischen Gezeitenwechsel verzögern.

Die Transformation ist also in vollem Gange – und wird, wie eingangs erwähnt, durch Ereignisse wie Corona nur noch beschleunigt und stärker sichtbar. Wer also einerseits keine klare Markenposition und andererseits keine klare Digitalstrategie hat, der hat eher früher als später ein handfestes und hausgemachtes Problem.

Doch auch mit einer klaren Markenposition und Digitalstrategie befürchte ich, dass die Halbwertszeit einer Love Brand im digitalen Zeitalter per se kürzer ausfallen dürfte; und die Anzahl an Love Brands allen Marktkonzentrierungen durch die Plattform-Ökonomie zum Trotz sich in viele kleine Nischenzielgruppen zersplittern dürften. Achtung, Binsenweisheit: Letztendlich interessieren sich Menschen immer am meisten für Menschen – und da die Digitalisierung auch die Personalisierung ermöglicht und begünstigt, ist es nur logisch, dass Influencer und YouTuber – also die Personenmarken – und ihre Inhalte als neue Love Brands insbesondere für die junge Generation mit verändertem Mindset spannender sind als die großen globalen Marken und digitalen Plattformen, für die sie werben oder auf denen sie bekannt werden. Oder ums kurz zu machen: Content Marketing schlägt Produktmarketing. Herzlich willkommen im Zeitalter der globalen digitalen Transformation.