Wer fühlt sich bei Webdesign im Jahr 2022 nicht an den Film Und täglich grüßt das Murmeltier erinnert? Erst das Briefing des Kunden, dann die Realisierung mit dem CMS WordPress und fertig. Aus dem Wunsch nach Mobile Responsive wurde ein gleichförmiger Einheitsbrei, der sich vor allem durch die Auswahl von Bildern, Farben und Schriften voneinander unterscheidet. Dreispaltig? Herobanner? Call to Action? In anderer Reihenfolge? Gähn. Und genau deshalb ist jetzt, nach 20 Jahren, Schluss damit. Zumindest hier bei creedoo.
Seit 20 Jahren bin ich, Daniel Höly, mittlerweile im Webdesign-Game unterwegs, zumindest wenn ich auf das Erstelldatum der ältesten Datei in meinem Ordner „Webdesign“ schaue. Sie datiert auf den 12.03.2002. Wann aus diesem Game ein Business wurde, kann ich nicht mehr genau sagen. Aber es muss um den Beginn meines Online-Journalismus-Studiums gewesen sein, also 2008/09. Die älteste wp-config.php-Datei auf meiner Festplatte datiert auf den 16.07.2009. Sie markiert den Beginn meiner Arbeitsbeziehung mit WordPress, dem inzwischen mit großem Abstand meistgenutzten und weitverbreitetsten Content Management System der Welt.
Doch im Laufe der letzten Jahre und Kundenprojekte hat die Leidenschaft fürs Erstellen und Gestalten von Webseiten stark nachgelassen. So stark, dass ich diese Dienstleistung ab sofort nicht mehr länger als singuläre Leistung(!) anbiete (in großen Projekten mit kompletten CIs, CDs etc. oder für Podcast-Produktionen als Full-Service-Dienstleister sehr wohl noch!). Und aus diesem Anlass will ich einmal innehalten und auf eine Auswahl an Kundenprojekten – alphabetisch sortiert – zurückschauen.
Coach, die Erste
Die erste Webseite, die ich 2010 für einen Coach erstellt habe, war sehr unspektakulär. Eine schlichte, schöne Webseite, weiter nichts. Was mir damals jedoch auffiel: wie unqualifiziert mir der Coach vorkam. Völlig hektisch, unbedacht, dafür mit beeindruckenden Preisvorstellungen und diffusen Leistungsangeboten. „Von dem würde ich mich niemals coachen lassen“, war damals mein Eindruck.
Coach, die Zweite
Die zweite Coaching-Webseite war nochmals eine Spur negativer. Der Coach war maximal verunsichert, wusste nicht, was er wollte, war daher pingelig, wankelmütig und entscheidungsunfreudig. Das machte den Prozess der Webseitenerstellung unnötig mühsam – für beide Seiten. Ob er als Coach gut ist, kann ich nicht sagen. Aber auch bei seiner auf mich hektisch wirkenden Art kam in mir der Gedanke auf, dass ich mich niemals von ihm coachen lassen würde. Leider kein gutes Zeugnis.
Freelancer
Realisiere niemals die Webseite von einem Printdesigner (Desktop-Publishing). Es sei denn, du stehst darauf, alles peinlich-perfektionistisch-pixelgenau umzusetzen wie dir der Designer in den PNG-Screendesigns vorgibt, die er in InDesign erstellt hat. Mittlerweile gibt’s dafür innerhalb von WordPress Pagebuilder (hier ergeben sie absolut Sinn!), mit denen man das easy hinbekommt. Damals war’s eine Qual, gerade durch das Responsive-Verhalten, was der Designer natürlich gar nicht auf dem Schirm hatte. Und das alles für wirklich allerkleinstes Budget. Mega uncool.
Kongress
Ein wirklich cooler Auftrag: Ein Kongress wollte sich verjüngen und gezielt eine Landingpage für die nächste Generation erstellen. Endlich konnte ich mal kreativ sein und meinen Traum einer horizontalen Page realisieren. Nice.
Dann kam Corona, der Kongress wurde abgesagt und das Projekt war gestorben. Viel Mühe umsonst. Schade.
Online-Kongress
Das war das Mandat, auf das ich gewartet hatte. Endlich mal eine tolle Challenge. Einen Online-Kongress mit WordPress bauen. Yeah. Großes Projekt, großes Volumen, also gleich mal einen weiteren sehr fähigen Webentwickler in Teilzeit eingestellt und los geht’s. Keine zwei Wochen nach Projektbeginn cancelt der Kunde das Projekt. „Die potenziellen Sponsoren sind inzwischen genervt von diesen Online-Kongressen und haben bislang nur schlechte Erfahrungen damit gemacht, die Performance ist wohl unterirdisch“, sagte er und zahlte ein geringes Ausfallhonorar für die bereits geleistete Arbeit. End of story.
(Ich hielt dennoch zehn Monate lang am Webentwickler fest und baute mit ihm an einer Plattform, die schlussendlich leider aller Wahrscheinlichkeit nach niemals das Licht der Webwelt erblicken wird – und versenkte somit einen fünfstelligen Betrag, weil ich nicht loslassen wollte. Das Verrückte daran? Ich bin trotzdem dankbar für diese Erfahrung und bereue nichts. Den Entwickler hab ich doll lieb.)
Politiker
Meine Anfangszeit im Webdesign beinhaltete ein langjähriges Engagement für einen Politiker. (Damals, 2009, verdiente ich 40 Euro pro Stunde, was für mich als Student purer Luxus war. Es war die Zeit, in der man als Politiker noch Klingeltöne auf seine Webseite packte. Soll’s angeblich heute noch vereinzelt geben.) Das Mandat war einerseits spannend und für mein Business hilfreich, andererseits auch chaotisch und damit etwas erschreckend. Politiker hinter den Kulissen sind halt auch nur Menschen und keine Götter. Kaum war seine Laufbahn beendet, weil er nicht wiedergewählt wurde, verebbte auch das Auftragsvolumen zu einem minimalsten Tröpfeln. Also trennte ich mich eines Tages ganz bewusst von ihm, Pareto-Prinzip lässt grüßen.
Rechtsanwalt, die Erste
Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich zu diesem Auftrag kam, aber mit diesem Engagement verbinde ich eine lustige Geschichte. Vorab: Die Webseiten, die ich für ihn betreute, waren seine Stiftung (WordPress) und mehrere Ferienwohnungen (noch in nacktem HTML und CSS). Das war 2011. Vermutlich hat sich bis heute nichts daran geändert.
Nun zur Geschichte: Ich war damals noch Student, wohnte gerade zuhause bei den Eltern und durfte den Rechtsanwalt zu einem „Meeting“ empfangen. Da mein Computer in meinem Zimmer stand, stand dort auch mein Bett. Und ordentlich wie ich war wirken wollte, machte ich das natürlich auch, inklusive einer Tagesdecke darüber, was ich sonst nie hatte. Der Rechtsanwalt betrat mein Zimmer, schaute sich um und fragte mich als erstes: „Machst du dein Bett immer so ordentlich?“ Völlig verdutzt bejahte ich seine Frage – eine glatte Lüge. Diese Lüge hatte zur Folge, dass ich nun jedes Mal meine Tagesdecke penibel genau glattstreichen musste, bevor er zu mir kam. Zum Glück dauerte das Engagement nicht lange an.
Rechtsanwalt, die Zweite
Das Engagement für einen weiteren Rechtsanwalt fand einige Jahre später ebenfalls in der Pflege seiner Webseiten via HTML und CSS statt. Ich gewann den Eindruck, dass die, die viel haben, manchmal besonders geizig zu sein scheinen.
Start-up
Solche Aufträge liebe ich. Erst einmal mit der Corporate Identity anfangen. Leitbild erarbeiten, das Versprechen ausformulieren, dann den Unternehmensnamen herausfinden, anschließend das Logo gestalten, Corporate Design – und erst dann die Webseite. Völlig ohne Altlasten. Großartig, da geht mein Herz auf.
Problem: Wenn dein Gegenüber so gar kein Gespür für all das hat – und somit der Prozess zäh, verkopft und trocken wird. Das Ergebnis war gut, konnte sich sehen lassen. Nur die Auswahl der Schriftart war völlig falsch (geht auf meine Kappe!), wodurch sie nicht das Gefühl transportierte, was wir wollten. Also änderten wir die Schriftart und gut war’s. Von wegen.
Der Kunde engagierte sechs Monate nach Launch der Webseite einfach jemand anderen und lies sich von ihm die Webseite komplett neu bauen. Einschließlich einer horrenden Typografie-Entscheidung (Impact! Die Schriftart für Memes schlechthin). Übrig geblieben von meiner Arbeit sind lediglich das Logo und das Markenversprechen. Ansonsten war alles umsonst. Eine sehr schmerzhafte Erfahrung (mir ist meine Lebenszeit nämlich nicht egal).
Start-up, die Zweite
Erst der Name, dann das Logo, dann die Webseite. Eine gute Reihenfolge. Mit Start-ups zu arbeiten, kann echt Spaß machen. Die Webseite steht heute noch 1:1 und sieht nach wie vor gut aus. Clean, minimalistisch, professionell – mit einer guten Typografie (hier: Futura!). Da der Geschäftsführer selbst bestens mit WordPress vertraut ist, pflegt er sie nun aber selbst, was für mich fein ist.
Das Beste an diesem Auftrag? Wir haben die Webseite in drei Tagen hochgezogen. Konzentriertes Arbeiten, schnelle Feedback-Schleifen und zack, fertig. So einfach kann das sein, so schnell kann das gehen.
Stiftung
Habt ihr schon mal mit einer Person jenseits der 80 an einer modernen Webseite zusammengearbeitet? Nein? Solltet ihr unbedingt mal machen. Ist lustig bis frustrierend, in jedem Fall eine gute Schule in Puncto Geduld, Gelassenheit und Selbstbeherrschung. Fazit? Kann man machen – kann man aber auch lassen.
Verband, die Erste
Hier passte eigentlich alles, ein unkomplizierter, angenehmer Kunde, eine schicke Webseite. Leider im Nachhinein unter Wert verkauft, dafür hielt sich der Aufwand in Grenzen.
Schwierig wurde der Kunde erst dann, als ich ihm die Wartung kündigte. Plötzlich änderte sich der Ton und es wurden vermeintliche Mängel moniert. Eine dicke Freundschaft dürfte hier nicht mehr daraus entstehen. Aber das war auch schon vorher klar – ich bin einfach kein Fan der Machokultur.
Verband, die Zweite
„Machen Sie das Screendesign, wir übernehmen dann die technische Programmierung des Templates“, hieß es irgendwann im Laufe des Projekts. Mir sollte es recht sein. Dass es dann aber nicht, wie bei uns üblich, drei Monate dauern sollte, sondern über anderthalb Jahre, das erstaunte mich dann doch. Und dass die Seite dann soooo wenig pixelgetreu umgesetzt wurde, war dann zugegeben etwas schockierend für mich anzuschauen. Da hatte der Inhouse-Programmierer wohl wirklich null Bock oder keine Zeit gehabt. Oder oder …
Kurioser Höhepunkt eines groß anberaumten Meetings mit allen Vertretern war dann ein kleines Detail, das zu hitzigen Diskussionen und einem Hauptstreitpunkt innerhalb des Verbands führte. Es ging um ein wunderschönes Artwork auf der Startseite, das ich von einem sehr begabten externen Kollegen gestalten ließ, bei dem jedoch anscheinend so manche kleinen verbandsspezifische fachliche Detailfehler drin waren (ein Gegenstand war im Sinne des Artworks gespiegelt, was dem Verband sofort auffiel, bei einem anderen Objekt war etwas enthalten, was in deren Region Deutschlands typischerweise nicht enthalten war und wieder ein anderes Objekt war das falsche Modell in der falschen Farbe etc. pp.). Man hätte meinen können, dass der Verband mit der Veröffentlichung des Artworks zugrunde gehen würde. Echt ein groteskes Erlebnis, dieses Meeting.
Nach dem Meeting eilte mir ein Mann hinterher und entschuldigte sich kurz vor dem Ausgang peinlich berührt für diese hitzige Diskussion, die ich vor Ort miterleben durfte. Man(n), Man(n), Man(n).
Verein
Eine meiner technisch anspruchsvollsten Webseiten durfte ich für einen kleinen Verein – und damit auch für kleines Geld – realisieren. Mehrsprachig, mit deftigen Altlasten der vorigen WordPress-Umgebung, die einen krassen Rattenschwanz nach sich zogen. Eine heikle Kiste, an der ich mich fast verbrannt hätte. Im Nachhinein hätte ich lieber die Finger davon gelassen, die Komplexität war wirklich nicht ohne. Dennoch: Es ging alles gut und ich verabschiedete mich nach getaner Arbeit erhobenen Hauptes.
Verlag
Sechs Jahre lang habe ich gute und günstige Dienste für einen Verlag geleistet, zuverlässig und stets fair. Zwei Jahre lang habe ich dann auf den Auftrag für ein großes, (über)fälliges Redesign hingearbeitet. Dann kam der Urlaub. Und nach dem Urlaub war da eine andere Agentur und alles war weg. So schnell kann’s gehen, wie gewonnen, so zerronnen.